Ausflug nach Winnenden
Wir treten am vierten Spieltag in Winnenden ohne Manuel, Zukri, Gleb und unserem grippeerkranken Mannschaftsführer Martin an. Ich muss daher einspringen und übernehme die Mannschaftsführung. Winndenden ist weit und wir sind 10 Minuten zu spät dran. Fair sportmenship lassen unsere Gegner die Uhren nicht laufen. So geht es mit etwa Verspätung dann regulär los.
Winnenden tritt in Bestbesetzung an und in unserer Startaufstellung sind wir pro Brett nominell rund 150 DWZ schwächer bewertet und damit krasse Außenseiter. So what – viel Feind, viel Ehr‘ 🙂
An Brett 6 schlägt sich unser Neuzugang Sayak wacker und es gelingt ihm, seinem starken Gegner die Dame gegen Turm und Läufer abzunehmen, sieht eigentlich geschmeidig aus. Die Stellung bleibt jedoch taktisch und der Gegner schafft es in der Folge, mit verdoppelten Türmen und dem Läuferpaar Druck auf Sayaks Königsstellung aufzubauen. Eine Unaufmerksamkeit führt dann angesichts der zahlenmäßigen Figurenmehrheit leider zum Partieverlust. Trotzdem eine starke Leistung unseres Debütanten, von dem wir sicher noch viel erwarten können.
Auch bei Artur wird es zu diesem Zeitunkt kritisch. Gegen seinen sehr starken Gegner kommt er zunächst gut aus der Eröffnung, gerät dann aber zunehmend unter Druck und muß Qualität und Bauer abgeben, was schließlich zum Partieverlust führt. Kein guter Start für uns. Stephan steht ausgeglichen und die Stellung bietet für keine Seite klare Pläne. Angesichts des Mannschaftsstandes gebe ich die Devise „Weiterkämpfen!“ aus.
Ich muß mich derweil als Schwarzspieler mit dem Londoner System rumplagen, nicht gerade meine Paradedisziplin. Mein Gegner und ich hatten uns bereits in der vergangenen Saison in derselben Konstellaton duelliert und nach hartem Kampf schließlich den Punkt geteilt. Ich wähle diesmal eine Hauptvariante mit c5. Ausweislich späterer Computeranalyse bewegen sich beide Kontrahenten entlang der Ideallinie, sodass die Stellung um den 20 Zug herum optisch etwas gefälliger für meinen Gegner, objektiv jedoch völlig ausgeglichen ist. Gefühlt kämpfe ich angesichts der Spielstärke meines Gegners dennoch eher um den halben als den ganzen Punkt.
Eine Wende kündigt sich an Mahdis Brett an. Die Partei war lange zweischneidig und unklar. Bei meinen kursorischen Besuchen schien mir eher die Stellung seines Gegners angenehmer zu spielen. Dennoch gelingt es Mahdi, seinen erheblich stärker bewerteten Gegner unter Druck zu halten und in Zeitnot seines Gegners schließlich den vollen Punkt einzufahren. Bravo!
Auch bei Norbert war Musik in der Partie. Sein Gegner hatte bei heterogenen Rochaden mit den Schwerfiguren auf der halboffenen g-Linie Druck auf Norberts Königsstellung aufgebaut; dieser wiederum arbeitet sich an dem geschwächten Doppelbauern auf der f-Linie ab. Der Gegner opfert schließlich eine Leichtfigur, um die Königsstellung zu sprengen. Das reicht aber nicht. Mit der Dame kann Norbert die Stellung zusammenhalten und durch Turmtausch schließlich in ein Endspiel mit Dame+Springer gegen Dame abwickeln, dass er zum vollen Punkt verwertet. Starke Leistung!
Derweil hat Stephan seinen Gegner durch zähes Spiel endlich weichgeknetet und es gelingt ihm in der Zeitnotphase einen Bauern zu gewinnen. Das reicht zu gewonnener Stellung und sein Gegner überschreitet zudem die Zeitkontrolle, sodass Stephan den vollen Punkt einfährt.
Nun liegt alles bei mir. Mein Gegner und ich sind derweil in einem Damen+Springer-Endspiel gelandet. Super gefährlich – ein falscher Fehler und alles ist vorbei. Die Stellung ist kritisch für mich. Mehr als einmal reibt mein Gegner sich schon die Hände und wähnt den Sieg. Ich finde aber jeweils den stärksten Zug, der die Stellung hält. Irgendwann sind auch die Springer vom Brett und mein Gegner hat einen freien Mehrbauern. Also Damentausch vermeiden und Gegenspiel suchen. Um dem Dauerschach zu entrinnen tritt der gegnerische König den Marsch über das Brett an. Dabei kann ich einen Bauren zurückerobern und verfüge nun ebenfalls über einen Freibauern, der gen Umwandlung strebt. Die Bauern laufen auf beiden Seiten. Ganz nebenbei muss ich jedoch die versteckten Mattdrohungen meines Gegners abwenden. Im rechten Moment kann ich mit Schach den Damentausch erzwingen. Wir wandeln nun gleichzeitg zu neuen Damen um. Bei gleichem Material sieht es das ganze tot Remis aus. Dennoch will mein Gegner es weiter wissen. Noch vier Minuten aúf der Uhr. Wieder kann ich den Damentausch erzwingen. Geschafft. Es sind nur nun noch zwei Züge, dann stehen sich die nakten Könige gegenüber. Nach 78 Zügen und maximal ausgeschöpfter Spieldauer also endlich das hart erkämpfte Remis. Gefühlt wie ein Sieg.
Jabadabadu, die Mannschaft gewinnt 3,5:2,5 gegen nominal übermächtige Gegner. Zwei wichtige Punkte. Wir finden uns nun im soliden Mittelfeld der Tabelle wieder, fernab der Abstiegsränge. So kann es im Neuen Jahr weitergehen. (Stefan Urlichs)